Zusammenfassung des Interviews mit Ricardo Baumann

Rosmarie Scheibler, seit 2010 Aikido-Lehrerin in Köln, unterhält sich am 14. Februar 2020 mit Prof. Dr. Ricardo Baumann. Das Gespräch mit dem Gesundheitspsychologen dreht sich um Stressresistenz, Resilienz, Aikido, Achtsamkeit, Bewegung und die Frage, welches die wichtigsten Voraussetzungen für ein gesundes, langes Leben sein könnten.

 

Prof. Dr. Ricardo Baumann durchläuft nach seinem Psychologiestudium zunächst verschiedene praktische, berufliche Stationen: u.a. arbeitet er als Heimpsychologe und in der beruflichen Rehabilitation, bevor er in die Wissenschaft wechselt, um Forschung im Bereich Prävention und Rehabilitation zu betreiben. Der Zusammenhang zwischen Arbeit, Gesundheit und Stress ist ein besonderer Schwerpunkt seiner Forschung. Heute lehrt Professor Ricardo Baumann Präventions- und Gesundheitspsychologie mit dem Schwerpunkt Rehabilitationspsychologie an einer Fernhochschule.

 

Ricardo Baumann definiert Gesundheitspsychologie als die Beschäftigung mit psychologischen Prozessen, die relevant seien, für Gesundheitsentwicklung und Gesundheitserhaltung, bspw. die Frage, wie mit Stress umgegangen werde. Er betont die Nähe zu Übungsinhalten des Aikido, wo versucht werde, mit Angriffen als Stressoren so umgehen zu lernen, dass ungünstige Reaktionen mit der Zeit durch bewusstere und entspanntere Verhaltens- oder Haltungsweisen ersetzt würden.

 

Umgangsweisen mit Stress, sowie Resilienz seien Gebiete, mit denen er sich besonders intensiv beschäftigt habe. Als ein Werkzeug, um resilienter zu werden, hebt Baumann den Ansatz der Achtsamkeit hervor. Dieser sei in den letzten Jahren immer mehr im Mainstream angekommen. Und plötzlich würde bemerkt, dass es schon lange einige alte Formen der Therapie oder Bewegung gegeben habe (bspw. das Thema Gewahrsein in der Gestalttherapie oder das Thema Achtsamkeit in der Kampfkunst Aikido), die diesen Aspekt behandeln würden. Inzwischen sei die Relevanz der Wirksamkeit von Achtsamkeit im Hinblick auf einen gesunden Umgang mit Stress eindeutig wissenschaftlich belegt. Allerdings sei beispielsweise der Faktor soziale Unterstützung ebenfalls ein wichtiger Faktor für Resilienz.

 

Soziale Kontakte, soziales Eingebundensein, aber auch das Erhalten und Annehmen von Unterstützung sei nicht nur für einen guten Umgang mit Stress wichtig, sondern eigentlich der wichtigste Faktor für ein gesundes, langes Leben. Viele Menschen würden allerdings diesen Aspekt des sozialen Eingebundenseins nicht bedenken, wenn sie über die hilfreichsten Dinge für ein gesundes, langes Leben befragt würden. Dass im Aikido sozialer Kontakt, körperliche Ertüchtigung und Achtsamkeitstraining in Stresssituationen in einer Übung mit einander vereint, erlebt Ricardo Baumann als positive Verbindung.

 

Auf die Frage, wie er zum Aikido gefunden habe, erzählt er, dass er schon immer gerne viel Sport gemacht habe. Neu in Köln, auf der Suche nach Bewegung und Anbindung, habe er von einer Freundin viel Positives über Aikido gehört, und sei so 2002 in der Schule von Dirk Kropp gelandet. „Mich hat die Atmosphäre sehr angesprochen, die Räumlichkeiten, viel Liebe in Gestaltung und Pflege des Dojos, der japanische Stil, schlicht, klar, aufgeräumt, das hat mir gefallen, aber auch das Üben an sich, sehr langsam und meditativ, so dass ich mir selbst näherkommen kann.“

 

Baumann beobachtet, dass in verschiedenen Lebensphasen auch verschiedene Aspekte beim Üben im Vordergrund stehen würden. Mal sei es stärker die Lust an Bewegung, oder das Thema Standfestigkeit, oder bspw. die Atmung. Durch die wertvolle Übungsphilosophie, nicht korrigiert oder verbessert zu werden entstehe so ein Raum der Persönlichkeitsentwicklung, in dem sich jeder entsprechend seines Zustands und seiner Möglichkeiten entwickeln könne. Der feste, ritualisierte Rahmen, der durch die Räume, aber auch durch die formalen, festen Abläufe gegeben sei, trage seinerseits dazu bei.

 

„Wie unterschiedlich die Menschen sind!“ staunt er und beschreibt, wie im miteinander Üben plötzlich eine Intensität entstehen könne, die zu mehr Konzentration, mehr Aufmerksamkeit, mehr Energie führe, und einen dann wieder woanders hinbringe. Auch wenn es sehr interessant sei, Menschen so hautnah mitzubekommen, und die Unterschiedlichkeit und den Kontakt zu spüren, ginge es gleichzeitig immer wieder darum, sich dabei selbst nicht zu verlieren. Man würde sich auf jeden Fall, beispielsweise durch fehlende Standfestigkeit, gewahr, dass man nicht mehr bei sich sei. Durch das Üben würde es einem förmlich aufgezwungen, sich selbst auch wahrzunehmen.

 

Und was unterscheidet Aikido von anderen Angeboten? Die runden Bewegungen seien etwas sehr Besonderes. Es sei eine schonende Bewegungsform, die nicht ins Extreme gehe, und dadurch für die unterschiedlichsten Menschen machbar sei. Ihm falle auf, dass er, egal welchen Sport er sonst im Urlaub mache, dennoch nie Muskelkater habe, sich rundum gestärkt fühle. Aikido sei eine Bewegungsform, die man fast immer machen könne, auch mit Zipperlein, oder älter werdend. Die Art der Roll- und Fallübungen kenne er sonst auch nicht, und Ricardo Baumann hebt zu guter Letzt hervor: „Das Miteinander ist besonders.“ Das Angebot im Kontakt mit anderen Menschen Achtsamkeit in Bewegung zu üben, könne für viele Menschen von Interesse sein.